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Stellungnahme zur kritischen Evaluation des Glücksspiel-Surveys 2021
Glücksspiel-Verbände haben bei der renommierten Statistikerin Katharina Schüller von der STAT-UP GmbH ein Gutachten zum Glücksspiel-Survey 2021 in Auftrag gegeben. In ihrem Gutachten bescheinigte die Expertin den Autoren der Studie Prof. Dr. Gerhard Meyer von der Universität Bremen sowie Dr. Jens Kalke und Dr. Sven Buth vom Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) und Dr. Holger Liljeberg von der INFO GmbH mehrere schwere Mängel und methodische Fehler, die zu verzerrten Ergebnissen geführt hätten. Die Autoren des Surveys verteidigen in einer Stellungnahme ihre Vorgehensweise.
Gutachten soll „beteiligte Institutionen in Misskredit bringen“
Bei den Glücksspielverbänden, die das Gutachten „Qualitätsanforderungen an Studien zur Ableitung von Regulierungsmaßnahmen: Kritische Evaluation des Glücksspiel-Surveys 2021“ in Auftrag gegeben haben, handelt es sich um den Bundesverband deutscher Spielbanken (BupriS), den Deutsche Online Casinoverband (DOCV), den Deutsche Sportwettenverband (DSWV) und Die Deutsche Automatenwirtschaft (DAW).
Besagte Verbände verträten die Interessen der Anbieter, die Glücksspiel-Formen anböten, welche national und international ein besonders hohes Gefährdungspotenzial aufwiesen. Dazu gehörten Spielautomaten, Casinospiele und Sportwetten.
Nach Ansicht des ISD, der Uni Bremen und der INFO GmbH seien die Befunde selektiv und die methodischen Ansichten einseitig. Zudem würden unterschwellige Behauptungen verbreitet.
Die Autoren urteilen:
„Mit dem Gutachten wird offensichtlich der Zweck verfolgt, die Aussagekraft der Ergebnisse des GS-Survey in Zweifel zu ziehen und die an diesem Projekt beteiligten Institutionen in Misskredit zu bringen.“
Stellungnahme zum Studiendesign
Die Autoren verteidigen in ihrem Statement die Anwendung des sogenannten „Mixed-Mode-Designs“ bei der Datenerhebung. Diese Vorgehensweise führe nach Ansicht der Statistikerin nicht zu repräsentativen Daten. Die Suchtforscher erklärten, dieses Verfahren sei gewählt worden, um den Nachteilen rein telefonischer oder onlinegestützter Befragungen entgegenzuwirken.
Diese Art der Datenerhebung finde zudem auch in anderen Bereichen Anwendung, zum Beispiel in der Wahlforschung. Halte man an einer rein telefonischen Befragung fest, führe dies zu Selektionseffekten und damit zu einer Unterschätzung der Spiel- und Problemprävalenz, weil die Bereitschaft der Bevölkerung, an Umfragen teilzunehmen, stark gesunken sei.
Im Gutachten wird eine Studie im Längsschnittdesign vorgeschlagen. Die Autoren argumentieren, dass dies eine weitaus höhere Fallzahl voraussetze. Es seien von Befragung zu Befragung Verluste von Teilnehmern zu erwarten gewesen.
„Es ist davon auszugehen, dass diese sogenannte Panelmortalität insbesondere die wenig themenaffinen Befragten betreffen und somit zu einer (rein methodisch bedingten) signifikanten Erhöhung des Anteils glücksspielaffiner Personen in der verbleibenden Stichprobe führen würde. Zudem waren alle vorherigen Erhebungen des GS-Survey (BZgA) als Querschnittserhebungen angelegt.“
Ausdrückliche Distanzierung von gezielter Teilnehmer-Gewinnung
Laut Schüller seien die Studien-Teilnehmer aufgrund ihrer Glücksspiel-Affinität oder gar mithilfe finanzieller Anreize gewonnen worden. Diesen Vorwurf weisen die Autoren strikt zurück.
Es handele sich bei der Rekrutierung um eine strenge Quota-Auswahl von Teilnehmern, die aktiv auf mehreren Online-Plattformen um die Teilnahme an der Studie gebeten worden seien.
Vergleich der Telefon-Kooperations- und der Online-Antwortquote nicht möglich
Für Schüller stelle die Absenkung der Schwellenwerte für problematisches Spielverhalten einen weiteren Fehler dar. Um Personen mit Glücksspiel-Problemen werde die fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) angewandt.
Um als Problemspieler zu gelten, müssen nach DSM-5 mindestens vier von neun der im Folgenden aufgeführten Kriterien erfüllt werden:
- Der Spieler platziert immer höhere Einsätze, um die erwünschte Hochstimmung zu erreichen.
- Der Betroffene ist unruhig und reizbar beim Versuch, das Glücksspielen einzuschränken oder aufzugeben.
- Wiederholte Versuche, das Glücksspielen zu kontrollieren, einzuschränken oder aufzugeben, bleiben ohne Erfolg.
- Es besteht eine starke gedankliche Eingenommenheit durch Glücksspiele.
- Es wird häufig in belastenden Gefühlszuständen, z. B. Wut, Angst, Ärger, etc., gespielt.
- Es erfolgt am nächsten Tag eine Rückkehr zum Glücksspiel, um Verluste auszugleichen (Chasing Losses)
- Mitmenschen werden belogen, um das Ausmaß der Verstrickung in das Glücksspielen zu vertuschen.
- Wichtige Beziehungen, der Arbeitsplatz oder Ausbildungs- oder Aufstiegschancen werden aufgrund des Glücksspiels gefährdet oder gehen verloren.
- Der Spieler verlässt sich auf finanzielle Unterstützung durch andere, um die durch das Glücksspielen verursachte finanzielle Notlage zu überwinden.
Die Autoren des Surveys führten an, dass zusätzlich die Kategorie „riskante Spieler“ gebildet worden sei. Hierbei müssten ein bis drei Kriterien erfüllt werden. Diese Kategorie sei aber in DSM-5 nicht explizit erwähnt.
Im Gutachten werde dies als „künstliche Erhöhung der Anzahl problematischer Spieler“ dargestellt. Jedoch sei diese Vorgehensweise in der Suchtforschung keineswegs unüblich, so die Autoren.
Dadurch erhalte man zusätzlich zu den Personen mit einer Glücksspielstörung auch Hinweise für möglicherweise gefährdete Spieler. Für eine differenzierte Ausgestaltung von Präventions- und Hilfsmaßnahmen seien diese Informationen unerlässlich.
Weiter heißt es im Statement:
„Die Arbeitsgruppe „ABHÄNGIGES VERHALTEN, RISIKOANALYSE UND RISIKOMANAGEMENT“ der TU Dresden unter Leitung von Prof. Dr. Bühringer empfiehlt ebenfalls für die Gruppe der Personen, die in Untersuchungen 1-4 (DSM-IV) bzw. 1-3 (DSM-5) Kriterien einer glücksspielbezogenen Störung erfüllen, den Begriff „riskantes Glücksspielen“ zu verwenden. Von daher teilen wir die Kritik von Frau Schüller an einer solchen Vorgehensweise nicht.“
Peer-Review ist erfolgt
In ihrem Gutachten wirft Schüller den Autoren vor, dass ein Peer-Review durch unabhängige Forscher nicht erfolgt sei. Dazu erklären die Autoren, dass neben dem Survey und dem Projektbericht auch zwei Publikationen vorlägen, die von Gutachtern geprüft worden seien.
Die Aussage in Schüllers Gutachten, Methodik und Ergebnisse des GS-Surveys hätten kein peer-reviewed-Verfahren durchlaufen, sei somit nicht korrekt. Allerdings gehen die Autoren nicht darauf ein, warum sie der Statistikerin zuvor die Einsicht in die Daten, den Feldbericht und den Fragebogen verweigert haben.
Neverending Story? – Zahl der Kritiker häuft sich
Katharina Schüller ist nicht die erste kritische Stimme, die zur Vorgehensweise bei Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Meyer von der Uni Bremen laut wird. Erst im Juni dieses Jahres kritisierte der Deutsche Sportwettenverband (DSWV), dass im „Jahrbuch Sucht 2023“ von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) fehlerhafte Daten präsentiert worden seien.
So habe der DSH veröffentlicht, die Umsätze des Sportwettenmarkts in Deutschland hätten 18,3 Mrd. Euro betragen. Tatsächlich seien aber „nur“ 9,4 Mrd. Euro eingesetzt worden. Der DSWV merkte an, dass die von der DHS herangezogenen Quellen nicht geeignet gewesen seien, um valide Daten zu erhalten. So hätten die Forscher Plattformen mit unvollständigem Impressum herangezogen. Zudem sei dort für illegales Glücksspiel geworben worden.
Die von Meyer übernommene Auszahlungsquote von 93 % sei zudem höchst unrealistisch, nicht zuletzt wegen der Einsatzsteuer von 5,3 %, die in Deutschland entrichtet werden müsse.
Unterstützung erhielt der DSWV im Juli 2023 durch den Glücksspielforscher Prof. Dr. Tilman Becker. Dieser bestätigte die Aussage des DSWV. Der DHS hält jedoch an seinen Zahlen fest. Der Ausgang der Kontroverse zwischen der Uni Bremen und dem Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung mit den Vertretern der Glücksspiel-Verbände ist derzeit noch unklar.