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Der im März 2022 von Sven Buth, Gerhard Meyer und Jens Kalke vorgelegte Forschungsbericht „Glücksspielteilnahme und glücksspielbezogene Probleme in der Bevölkerung – Ergebnisse des Glücksspiel-Surveys 2021“ soll als wissenschaftliche Grundlage für den politischen Diskurs zum Thema problematisches Glücksspiel unbrauchbar sein. Laut eines Gutachtens der STAT-UP Statistical Consulting & Data Science GmbH lägen erhebliche methodische Fehler vor, die zu falschen Daten und Resultaten geführt hätten.
Zweifel an der Richtigkeit erhobener Daten
Mit dem Survey habe eine valide Datenbasis über das Spielverhalten in Deutschland geschaffen werden sollen. Problematisches Spielverhalten und dessen Ausmaß sowie die Zusammenhänge zwischen Alkoholkonsum, psychischen Problemen und Glücksspiel-Werbung sollten ebenfalls Teil der Erhebung werden.
Das Ergebnis dürfte die Branche überrascht haben, denn laut dem Survey sollen 8 % der 18-bis-70-jährigen Bevölkerung „problematisches Spielverhalten“ aufweisen. Zum Vergleich: Das BZgA erhob 2019 noch einen Bevölkerungsanteil von lediglich 0,73 % Problemspieler.
Das Studienergebnis sei sowohl medial als auch politisch mehrfach rezipiert worden, mit der Folge, dass der Beauftragte für Sucht- und Drogenfragen der Bundesregierung und der Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen restriktivere Glücksspielregulierungen forderten.
Der Bundesverband deutscher Spielbanken (BupriS), der Deutsche Online Casinoverband (DOCV), der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) und Die Deutsche Automatenwirtschaft (DAW) beauftragten daraufhin die STAT-UP Statistical Consulting & Data Science GmbH, die unter der Leitung der renommierten Statistikerin Katharina Schüller und Prof. Dr. Ralf Münnich von der Universität Trier ein Gutachten erstellen sollte.
Das Gutachten der Statistik-Expertin bescheinigte der Vorgehensweise bei der Datenerhebung erhebliche Mängel. Es fehle an der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle. Hohe Qualitätsstandards seien aber unerlässlich, vor allem, wenn politische Entscheidungen getroffen würden, die auf diesen Forschungsergebnissen fußten.
Verzerrtes Bild durch gekaufte Aussagen und unzulässige Kausalschlüsse
Laut Schüller sei bereits die gewählte Methodik, die zur Erhebung der Daten verwendet worden sei, nicht zielführend. Das Mixed-Mode-Design, das Befragungen per Telefon und Online-Befragungen kombiniert, führe nicht zu repräsentativen Daten.
So sei die Nonresponse-Quote bei der Online-Befragung des Surveys deutlich höher (90 %) als bei der telefonischen Befragung (73 %). Der Tatsache, dass die Ergebnisse daher nicht repräsentativ sein könnten, sei im Survey nicht Rechnung getragen worden.
Weitere schwere Fehler seien in der Erhebung und Auswertung der Daten auszumachen. So seien die Teilnehmer keinesfalls zufällig ausgewählt worden. Vielmehr seien sie durch ihre individuelle Glücksspiel-Affinität und ggf. sogar durch monetäre Anreize gewonnen worden:
„Hierdurch ergibt sich methodisch bedingt eine künstliche Erhöhung der Zahl von Befragten, die an Glücksspielen teilnehmen und Probleme aufweisen.“
Auch der Zeitraum zwischen August und Oktober 2021 für die Untersuchung zu den Auswirkungen des Glücksspielstaatsvertrags sei falsch gewählt worden. So seien Daten vermischt worden, die vor und nach dem Inkrafttreten des GlüStV erhoben worden seien. Eine Entwicklung im Zeitverlauf sei nicht abgebildet worden.
Ein erheblicher weiterer Fehler stelle die Absenkung der Schwellenwerte für problematisches Spielverhalten dar. Aktuell werde die Version DSM-5 verwendet, um psychische Erkrankungen zu klassifizieren.
Hierbei müssten mindestens vier von neun Kriterien erfüllt sein, um problematisches Spielverhalten zu diagnostizieren. Im Survey seien diese Kriterien auf eins reduziert worden. Dementsprechend sei der Anteil der Problemspieler von 2,3 % auf 8,0 % vervielfacht worden. Dies entspricht rund fünf Millionen Menschen.
Wissenschaftlicher Diskurs unerwünscht?
Ein schwerwiegender Kritikpunkt sei die Weigerung der Survey-Autoren, die Daten, den Feldbericht sowie den Fragebogen bereitzustellen. Ein Peer-Review durch unabhängige Wissenschaftler sei nicht erfolgt.
Seitens der Autoren werde gegen den wissenschaftlichen Kodex verstoßen. Die Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft betonten explizit die Replizierbarkeit von Forschung durch Herausgabe der Forschungsdaten und relevanten Materialien.
Der Weigerung seitens der Autoren, sich einem transparenten und umfangreichen Diskurs zu stellen, sowie gravierende handwerkliche Fehler verunmöglichten dem Laien eine sachgerechte Rezeption des Surveys, urteilt Schüller.
Dies habe Fehlinterpretationen und inkorrekte Rezeptionen durch gesellschaftliche, mediale und politische Akteure zur Folge. Die Expertin rate daher von der Verwendung des Surveys für Entscheidungen ab:
„Wegen seiner evidenten Intransparenz und der nachgewiesenen methodischen Fehler und daraus resultierender Verzerrungen ist von der Nutzung des Glücksspiel-Surveys 2021 im Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Bewertungen und erst recht im Zusammenhang mit glückspielrechtlicher Regulierung dringend abzuraten. Er liefert keine valide und präzise Datenbasis in Bezug auf das Glücksspielverhalten in Deutschland.“
Die Wissenschaftlerin schließt mit dem Aufzeigen effizienterer Methoden zur künftigen Erhebung zur Glücksspielprävalenz und zu problematischem Spielverhalten. Dazu gehörten Längsschnittstudien, die anders als der Mixed-Mode-Ansatz auf einer reinen Wahrscheinlichkeitsstichprobe basiere.
Zudem sei ein Pretest des Fragebogens für Screening-Zwecke aufgrund des sensiblen Inhalts der Fragen dringend zu empfehlen. Für künftige Erhebungen wünsche sich Schüller transparente Diskussionen und die proaktive Veröffentlichung aller relevanten Daten und Informationen.